Es war im Juni 1993. Ich besuchte für zehn Tage meinen Freund Andrej Hoteev in St. Petersburg. Während meines Aufenthalts begleitete ich ihn zur Erstaufnahme der von ihm entdeckten Urfassung des 3. Klavierkonzerts von Tschaikowski im großen Saal der Philharmonie. Ich lernte seine Familie und Freunde kennen, ihre Gastfreundschaft schätzen und bekam einen Eindruck vom Leben eines Berufsmusikers in Russland.
Ein Begleitwort von Andrej Hoteev
Es war im Jahre 1993. In Russland herrschte eine fantastische, unglaubliche Zeit, eine Epoche der Wende. Die Zeit des Kommunismus war gerade vorbei, aber die Oligarchen, Milliardäre und "neuen Russen" noch nicht da. Wir in Russland waren euphorisch, alle dachten, dass nun endlich unsere Träume wahr würden.
Mein erstes Honorar im Westen betrug 2.000,- Dollar - das bedeutete für mich so viel wie 100.000,Euro. Ich habe mir von diesem Honorar ein antikes Steinway Konzertklavier und zwei Paar Winterstiefel für meine Frau sowie einen Pelz und einen Fernseher für meine Mutter gekauft. Ich habe meiner Mutter ganz stolz erzählt, dass es von nun an vorbei mit der Armut sei. Ich sagte ihr, ich könne ihr zwar kein Haus kaufen, aber von nun an müsse sie sich keine Sorgen mehr darüber machen, gute Lebensmittel zu bekommen. Sie konnte nicht glauben, dass sie nicht mehr jede Kopejka beim Lebensmittelkauf umdrehen müsse.
In diesem Jahr habe ich meine erste weltbedeutende Entdeckung überTschaikowski veröffentlicht: das 3. Klavierkonzert in drei Sätzen. Ich machte meine ersten CD-Aufnahmen bei einem französischen Label, spielte das erste Mal in dem großen Saal der Schostakowitsch Philharmonie in St. Petersburg und bereitete meine erste Europatournee vor. Wir alle in Russland genossen die russische Natur und die russische Erde und glaubten, dass es in zwei bis drei Jahren in Russland alles so gut organisiert sein würde wie in Deutschland.
Zu dieser Zeit war Christian bereits mein bester Freund. Er begleitete mich für zehn Tage nach St. Petersburg, dokumentierte meine ersten Triumphe und glaubte an mich. Heute, 15 Jahre später, finde ich, dass diese Fotos unikale Dokumente von dieser einzigartigen Zeit sind. die sich nie wiederholen wird. Damals war die Armut Realität, aber die Luft war geschwängert von Glück und Hoffnung. Diese Bilder von Christian faszinieren mich, denn sie bilden sowohl die Realität als auch die poetische Gestaltung ab und - was mir immer sehr wichtig war und ist - die gemeinsamen Seiten der russischen und der deutschen Mentalität, der russischen und der deutschen Seele. Ich fühle, dass er mein Bruder ist.
Als Fotograf macht er dasselbe, was ich an meinem Klavier mache - Musik, Kunst...
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