72 Stunden Porno – Zu Besuch auf einer Sexmesse

Die Sexmesse lockt jedes Jahr Tausende von Besuchern nach Berlin. Aber: Was sind das eigentlich für Leute, die so eine Messe besuchen? Und: Was geschieht auf solch einer Sexmesse? Ich wollte es mit eigenen Augen sehen: vier Tage Messe nonstop erleben und fotografieren, was passiert. Das Ergebnis ist ein Ausflug in eine Welt aus Voyeurismus, Geilheit und Sehnsucht, Trauer, Schweiß, Überdrehtheit, Selbstdarstellung und Schüchternheit, die für den außenstehenden Beobachter teilweise schwer zu ertragen ist.

 

In den ersten Stunden gehe ich über die Messe und taste mich heran, an Stände, Menschen, lasse die Messe auf mich wirken, nehme alles in mir auf und fange langsam an zu fotografieren. Immer wieder denke ich: „Das gibt es doch gar nicht“, und löse aus, halte fest, schaue es mir später auf dem Display an, um mich zu vergewissern, dass ich nicht träume. Es ist wahr. Neben mir hockt ein Mann mit einer Ledermaske auf dem Kopf, sein Gesicht ist nicht zu erkennen. Ein anderer Messebesucher trägt einen Ganzkörperlatexanzug mit spitzen Latexbrüsten. Das, was ich hier erlebe, ist ein Extrakt aus Voyeurismus, Geilheit, Sehnsucht, Trauer, Schweiß, Überdrehtheit, Selbstdarstellung und Schüchternheit. Besucher, verkleidet bis zur Unkenntlichkeit. Es scheint, als buhlten sie mit den Pornodarstellerinnen und den anderen Messeausstellern um die Gunst des Publikums. Es ist ein Jahrmarkt der Eitelkeiten auf beiden Seiten. Es wird hemmungslos fotografiert, zugegriffen, abgetastet, angequatscht, mit der Kamera zwischen die Beine gehalten.

Ich werde von einem Besucher auf meine Kameraausrüstung angesprochen: “Ach, du fotografierst mit einer weitwinkeligen Festbrennweite und dann noch ohne Blitz ... na ja, man kann ja bei den heutigen Kameras und Auflösungen ordentliche Ausschnitte bekommen, ohne dass die Qualität allzu deutlich leidet”, bekomme ich mitfühlend auf den Weg. Er wartet mit seinem Zoom und Aufsteckblitz sowieso nur auf „die“ mit den großen Brüsten. Die anderen mit weniger Oberweite „nimmt er nur so mit“, obwohl sie für ihn eigentlich völlig uninteressant sind, wie er mir gegenüber versichert. 

Dann der erste Besuch an der Eventbühne. Wartende Fotografen bereiten ihre Kameraausrüstungen vor. Man kennt sich anscheinend. Die meisten fachsimpeln über ihre Fotoaufnahmen der letzten Jahre. Es klingt nach Wanderzirkus. Langsam füllt sich der Bühnenrand. Ein Conférencier besteigt die Bühne und fragt, ob es uns gut ginge. Er kündigt ein spannendes Showprogramm mit internationaler Beteiligung an. “Scharf und schärfer” soll es zugehen. 

Die Shows laufen nach immer dem gleichen Muster ab. Laute Musik, Frau stiefelt auf die Bühne, entledigt sich ihrer Kleidung und räkelt sich vor den Zuschauern mehr oder minder gekonnt. Ein Blitzlichtgewitter beginnt. Und dann ist auch schon alles vorbei. Nach einer kurzen Pause geht die nächste Show los. 

Ich brauche erst einmal einen Kaffee. Zu früh, zu laut, zu viel nackte Haut am Morgen. Immerhin ist der Kaffee gut und die Messepreise sind akzeptabel. Immer mehr Menschen bevölkern jetzt die Messehallen. In der Eingangshalle, die auch gleichzeitig die anderen Hallen miteinander verbindet, kommt es zum Rudelknipsen einer Halbnackten. Sie posiert gerne und gekonnt. Herzt noch einen alten Bekannten im Rollstuhl – fast als wäre sie gerade nach Hause gekommen.

Noch am Vormittag schaue ich mir eine Privat-Lesbenshow an. Eintritt 15 Euro. In einem abgetrennten Bereich sitzen schon an die 15 Männer und warten auf die Darstellerinnen. Anfassen erlaubt. Die beiden betreten den Raum. Nackt. Ohne Vorspiel geht es zur Sache. Sie setzen sich auf den Schoß einiger Zuschauer, animieren zum Begutachten und Anfassen. Das Ergebnis: Nach wenigen Augenblicken werden die beiden Frauen betatscht. Mit den Fotokameras wird in Nahaufnahme jede Körperöffnung genau abfotografiert – ein Wunder, dass keine Kamera in den Frauen verschwindet. Ich blicke in die Augen der anderen Zuschauer. In ihren Augen spiegelt sich Sehnsucht und Geilheit, zugleich aber auch Traurigkeit. Es liegt Erreichbares und Unerreichbares in den Augen. Es ist fast so, als würden sie sagen: ”Komm doch bitte und setz dich auch zu mir!”

Am Ende ihrer Darbietung betritt ein männlicher Akteur mit einem Umschnalldildo die Bühne und fängt an, die eine der beiden zu penetrieren. Nach wenigen Minuten ist die Show vorbei, und die Zuschauer gehen mehr oder weniger stark mitgenommen aus dem Hintereingang. Die nächste Show beginnt in wenigen Minuten.